Ganztagsschule für alle – aber richtig!

Einen Ganztagsanspruch, welcher Bedürfnisse von Kindern berücksichtigt und ihnen sinnvolle und individuelle Möglichkeiten zur Freizeit- und Alltagsgestaltung bietet, betrachten wir als begrüßenswert. Eine Ganztagsbetreuung in dem geplanten Umfang ist eine enorme Veränderung im Leben von jungen Menschen. Daher ist es aus unserer Sicht notwendig, dass einige bisher nicht berücksichtigte Punkte Gegenstand der politisch geführten Debatte wer-den, sofern der Rechtsanspruch nachhaltig eine positive Auswirkung auf das Leben junger Menschen und deren Familien haben soll.

Als Landesverband Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe in Berlin fordern wir deshalb:

Kindern muss die Wahlmöglichkeit gelassen werden.

Durch eine freie und individuelle Freizeitgestaltung haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit ihre eigenen Interessen, Stärken und Fähigkeiten besser kennen zu lernen und diesen nachzueifern. Vorgefertigte starre Gruppenangebote schränken Kinder in ihren Wahlmöglichkeiten ein und stehen einem modernen Bildungs- und Erziehungsverständnis entgegen. Angebote für Kinder zur Freizeitgestaltung dürfen nicht nur im Rahmen von Schul- AGs und Gruppenangeboten stattfinden. Kinder haben ein Recht auf Freizeit, Ruhe und Spiel (vgl. Artikel 31 UN-Kinderrechtskonvention). Einer „Verhortung“ der Kinder im Nachmittagsbereich nach dem Motto „Hauptsache die Kinder sind betreut“, stellen wir uns entschieden dagegen.

Schule darf nicht alleinig die Bildungslandschaft für Kinder und Jugendliche darstellen.

Eine individuelle Freizeitgestaltung mit ausreichend Freiraum für Kinder, Sport- und Musikangeboten und freiem Spiel kann nicht nur allein durch Ganztagsschulangebote für Kinder erlebbar werden/abgedeckt werden. Die Vielfältigkeit außerschulischer Freizeit- und Bildungsorte darf bei der Ausgestaltung des Rechtsanspruchs nicht vernachlässigt werden.
Informelle Bildung finden unter anderem in Jugendclubs, auf pädagogisch betreuten Spielplätzen oder in Sportvereinen statt. Offene Kinder- und Jugendarbeit bietet Möglichkeiten zur Mitgestaltung und Selbstorganisation. Demokratische Prozesse können hier durch Kinder direkt praktiziert werden. Nicht nur die Möglichkeit, sondern auch der Auftrag der Demokratiebildung findet sich in kaum einer anderen institutionellen Bildungseinrichtung wieder und ist ein Alleinstellungsmerkmal der Offenen Kinder- und Jugendarbeit.

Kooperationen müssen auf Augenhöhe stattfinden.

Kooperationen zwischen Offener Kinder- und Jugendarbeit und Schule können eine sinnvolle Möglichkeit sein, Ganztagsschule attraktiv zu gestalten. Sie dürfen jedoch nicht allein von dem Engagement einzelner Lehrkräfte, Erzieher*innen oder Sozialarbeiter*innen abhängen. Leider ist dies in der Praxis nur allzu oft der Fall. Schulen sollen und müssen sich gegenüber dem Sozialraum öffnen. Hierfür bedarf es neben finanzieller Ausstattung auch Kooperationspartner. Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe sind hierfür geradezu prädestiniert.
Die Einrichtungen der Offenen Arbeit dürfen hierbei nicht allein Umsetzer oder Ausführer curricularer Schulangebote sein. Die partizipative und offene pädagogische Orientierung bietet Chancen für Kinder und Jugendliche die Schule nicht bieten kann. Qualifizierte Fachkräfte und eine Vielzahl an Angebote bestehen bereits in den Einrichtungen und leisten schon seit Jahren einen wichtigen Beitrag im Heranwachsen vieler junger Menschen. Wir fordern Entscheidungsträger*innen dazu auf dies wahrzunehmen und entsprechend im Sinne der Kinder zu handeln. Jugendarbeit darf nicht als Bittsteller*in vor unserem Schulsystem dastehen. So kann eine Finanzierung z.B. daran geknüpft sein, dass Schule mit Jugendarbeit Kooperationsverträge schließt.
Eine Kooperation auf Augenhöhe bedeutet aber auch: Die Prinzipien der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, Offen-heit, Freiwilligkeit und Niedrigschwelligkeit müssen weitestgehend bewahrt bleiben. Nur so stellt sie auch weiterhin ein ergänzendes Bildungs- und Freizeitangebot zu Schule dar.

Entwicklung von jungen Menschen darf sich nicht ausschließlich einem Diktat der Wirtschaft unterordnen.

Kinder sind nicht in erster Linie Schüler*innen, sondern Bürger*innen und Mitmenschen mit all ihren Rechten. Kindheit sollte nicht allein bestimmt sein durch schulische Leistung und Bildungserfolg. Der Wohlstand einer Gesellschaft darf sich nicht darauf stützen wie schnell und gut wir unsere Kinder ausbilden und auf das Arbeitsleben vorbereiten. Kindheit sollte, wenn überhaupt bestimmt werden durch das Recht auf Spiel und Freizeit und das Recht darauf auch einmal nichts zu tun und richtig „unproduktiv“ zu sein.

Beteiligung der Kinder, jetzt!

Kinder haben das Recht in allen Angelegenheiten die sie betreffen, gehört zu werden, ihre Meinung ist, entsprechend ihren Alters und Reife, zu berücksichtigen. Dies verlangt Artikel 12 der UN – Kinderrechtskonvention.
Wir fordern ein umfangreiches Beteiligungsverfahren, um Kinder an der Ausgestaltung ihres Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung mitbestimmen zu lassen. Ein kindgerechter Ganztag, welcher auf die Bedürfnisse, Wünsche, Ängste und Sorgen der Kinder Rücksicht nimmt, kann nur verwirklicht werden, wenn Kinder nach eben diesen Dingen gefragt werden!
Ergebnisse hieraus können nicht nur dabei helfen den Ganztag sinnstiftend zu gestalten, auch können sie dabei helfen den Rechtsanspruch wissenschaftlich zu begleiten und die Umsetzung der Wünsche und Ideen der Kinder, sowie die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse und Sorgen als Qualitätsmerkmal für eine erfolgreiche Umsetzung des Rechtsanspruchs dienen.

Eine ausreichende Finanzierung

Ein Rechtsanspruch in solchem Umfang stellt für die Länder und Kommunen einen enormen finanziellen Kraftakt dar. Die unzureichende Klärung der Finanzierung, lässt eine mangelhafte Qualität der Ganztagsangebote erwarten. Wir fordern den Bund auf, die Länder und damit die einzelnen Kommunen und nicht zuletzt Schulen mit ausreichenden finanziellen Mitteln auszustatten, damit eine bedarfsgerechte an den Bedürfnissen der Kinder orientierte Umsetzung des Anspruchs sichergestellt werden kann.

Der Landesverband Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe in Berlin fordert Bund und Länder auf den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an den Bedürfnissen der Kinder auszurichten und Jugendarbeit mit ihren Chancen und Möglichkeiten in den Prozess der Ausgestaltung und Umsetzung miteinzubeziehen, damit für alle Kinder bundesweit der Rechtsanspruch eine positive Auswirkung hat.

Stand 2021